Schabbat Shalom - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Schabbat Shalom - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

JLID - Wärme Dich am Feuer der Weisen

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Wärme dich am Feuer der Weisen

Wärme dich am Feuer der Weisen, nimm dich aber vor ihren Kohlen in Acht, damit du dich nicht verbrennst, denn ihr Biss ist wie der Biss eines Fuchses, ihr Stich wie der Stich eines Skorpions und ihr Zischen wie das Zischen von Schlangen. All ihre Worte sind glühende Kohlen.

(Sprüche der Väter 2,15)

Wir betrachten Rabbiner für gewöhnlich als warmherzig, freundlich und mitfühlend – wie liebenswerte Väterchen eben. Nicht ohne Grund: Nach allgemeiner Überzeugung soll das Studium der Torah nicht nur den Scharfsinn, sondern auch den Charakter des Gelehrten verfeinern. Warum dann ermahnt uns Eliezer ben Hyrkanus, selbst einer jener namensgebenden „Väter“ der Mishna, offensichtlich nicht ohne Selbstironie, dass wir uns vor den feurigen Worten der Weisen zu hüten hätten? Uns wird von ihrem Biss, ihrem Stachel, ihrem Zischen erzählt: Sie werden mit nahezu tierischer Wildheit dargestellt. Wir müssen irgendwie von ihnen lernen – aber wir sollten ihnen dabei besser nicht zu nahekommen? Vor allem aber schließt diese Warnung nicht seine eigenen Worte mit ein. Ist sie also in sich widersprüchlich? Der Gelehrte Rashi versucht, diese verwirrende Textstelle folgendermaßen aufzulösen: Die Warnung vor den Gelehrten beziehe sich nicht auf ihren Charakter, sondern vielmehr auf die indirekten Folgen ihrer Lehre. Eliezers Absicht sei vielmehr, die irreversiblen Folgen der durch ihre Lehren gewonnenen Erkenntnisse für den Schüler zu beschreiben. Weisheit, Wahrheit sind feurige Kohlen, denn je mehr wir wissen, desto mehr werden wir dadurch zu rechtem, jedoch womöglich unangenehmen Handeln verpflichtet – und desto mehr werden wir zur Rechenschaft gezogen, sollten wir der einmal als solche erkannten Pflicht nicht nachkommen. „Es ist besser, ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein zufriedener Narr.“ Rabbi Eliezers verbrannte sich selbst in gewisser Weise an den Kohlen des Feuers der Weisen. Wegen einer Mindermeinung in einer Entscheidung der religiösen Praxis wurde er vom Sanhedrin gerügt und ihm die Lehre untersagt. Rabbi Eliezer beugte sich dem Urteil in Demut, wie auch die anderen Weisen dem Sanhedrin gegenüber große Achtung bewahrten und sich des Richtspruchs nahezu schämten. Beide Seiten bewiesen damit Toleranz und ein gewisses Verständnis epistemologischer Bescheidenheit. In Bezug auf den eingangs erwähnten Spruch könnte man sagen: sie näherten sich dem lodernden Feuer des jeweiligen Gegenübers mit Vorsicht, um sich nicht an dessen Kohlen zu verbrennen. Große Geister sind manchmal wie getriebene Geister. Sie sind oft sehr intensiv und verspüren ein Gefühl der Dringlichkeit. Das Leben ist flüchtig und kostbar; es gibt so viel zu erledigen und so wenig Zeit. Und solche Intellektuellen haben bisweilen wenig Geduld mit Menschen, die benommen durchs Leben gehen, ohne je wirklich darüber nachzudenken, warum, wieso, wohin. So können wir Rabbi Eliezers Mahnung vielleicht auch als indirekte Aufforderung an die Experten aller Bereiche der Weisheit verstehen, einem widerspenstigen Publikum mit Geduld und Verständnis zu begegnen, denn was dem Weisen wie sein großmütig geteiltes, wärmendes Feuer scheint, erfährt der Uneingeweihte oft als das rüde Erwachen durch die Berührung mit glühenden Kohlen.

Schabbat Schalom, Ihre Isabelle Heinemann

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Über diesen Podcast

Die erste urkundliche Erwähnung jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands stammt aus dem Jahr 321 n.Chr. – deswegen wird in diesem Jahr das Jubiläum begangen.

Jeden Freitag nehmen uns junge Jüdinnen und Juden dazu in diesem Podcast mit in die Welt des Judentums. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, dem Begabtenförderungswerk der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, teilen mit uns ihre Gedanken zum Schabbat und zum jüdischen Leben in Deutschland.

Auf der ganzen Welt ist für Jüdinnen und Juden der Schabbat der Ruhetag. Er beginnt am Freitag mit Sonnenuntergang und endet am Samstagabend. An diesem Tag kommen Familie und Freundinnen und Freunde zusammen, der Tag ist ganz der Ruhe gewidmet.

„Schabbat Shalom“ – „Einen friedlichen Schabbat“ – ist der traditionelle Gruß für Jüdinnen und Juden.

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