JLID - Sich bücken
„Wenn du einen Menschen aus Dreck und Schlamm emporheben willst, glaube nicht, dass Du oben bleiben kannst und es ausreicht ihm eine hilfreiche Hand zu reichen. Du selbst musst ganz in den Dreck und Schlamm hinabsteigen. Ergreife ihn mit festen Händen und führe ihn und dich ans Licht zurück.“
Chassidischer Lehrsatz
Dieser Lehrsatz wird Rabbiner Schlomo von Karlin zugesprochenen. Er kann so interpretiert werden, dass derjenige, der den Armen und Ausgestoßenen Hilfe leisten möchte, zu jenen Orten und in die Milieus gehen müsse, wo die Armen und und Ausgestoßenen sich aufhalten. Wir können es nicht nur bei schönen Reden im eigenen, behaglichen Umfeld bewenden lassen. Wer also beispielsweise drogenabhängigen Menschen helfen möchte, sollte dort hingehen, wo diese sich psychisch und physisch befinden und sich in diesem doppelten Sinne vor Ort empathisch auf den Menschen, seine Lebensrealität, sein Leiden und seine Biografie einlassen, um ihm so zu helfen, aus seiner prekären Lage herauszufinden. Einem Menschen in Not zu helfen bedeutet so auch immer die eigene Komfortzone zu verlassen und sich selbst in die Zone der Not zu begeben. Neben dieser praktischen Deutung beinhaltet Rabbi Schlomos Ausspruch auch eine tieferliegende Bedeutungsschicht, die auf die jüdische mystische Tradition der Kabbala verweist. In den Vorstellungen der Kabbala finden sich in den heiligen Texten des Judentums Bedeutungsebenen, die hinter dem Wortsinn des Textes verborgen liegen und geheime Dimensionen von der Beschaffenheit der Schöpfung enthalten. Dazu zählt die Vorstellung, dass heilige Funken in sogenannten Qlīpōt (hebr. Schalen) gebannt sind. Diese Schalen sind spirituelle Hindernisse der Negativität, die das Positive, das Licht, das Göttliche umschließen, wie Schalen die umschlossene Frucht umhüllen. Um dieses Licht freizusetzen, muss der Mystiker bereit sein, in die Bezirke der Dunkelheit einzutreten, um dort das verborgene Licht zu finden und zu befreien.
Text: Konstantin Schuchardt
Sprecherin: Marie-Rachel Garal
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