JLID - Die Stimme Gottes
Wenn die Geschichte keine launische Dummheit ist, dann muss es ein Gegenstück geben zu der gewaltigen Zerstörungswut der Menschen. Es muss eine Stimme geben, die NEIN sagt, eine Stimme, die nicht verschwommen, schwach und innerlich ist wie Gewissensbisse, sondern eine, die von der gleichen spirituellen Macht ist wie die Zerstörungswut des Menschen. Abraham Joshua Heschel
Die Frage nach der Existenz des Bösen in der Welt, unter Theologen als Theodizee bekannt, stellt wohl das schwierigste logische Problem des Monotheismus dar. Warum lässt ein allwissender, allmächtiger und allgütiger Gott zu, dass den in seinem Antlitz geschaffenen Kreaturen auf Erden unvorstellbare Grausamkeiten zustoßen? Besonders im Angesicht der Shoa kommt kein jüdisch-religiöses Denken unserer Zeit um die Konfrontation mit diesem durch jene Katastrophe schonungslos vor Augen geführten Dilemma herum. Zur Frage nach der Beschaffenheit oder auch nur der reinen Möglichkeit einer ‘Theologie nach Auschwitz’ wurden im Laufe der Jahrzehnte von Rabbinern, Intellektuellen und Philosophen eine Vielzahl von Meinungen hervorgebracht. Der Schriftsteller Elie Wiesel – seligen Andenkens - ging gar soweit, seine Erfahrungen als Überlebender der Shoa in seinem Werk ‘Der Prozess von Shamgorod’ durch die Anklage Gottes vor einem fiktionalen Tribunal der Opfer literarisch zu verarbeiten.
Auch der eingangs zitierte bedeutende Religionsphilosoph Rabbi Abraham Joshua Heschel, der sich seit seiner Studienzeit im Berlin der 1930er vor allem intensiv mit dem Prophetentum des Tanach beschäftigte, sah sich persönlich wie wissenschaftlich mit dem Problem des Bösen angesichts des Grauens der Shoa konfrontiert. Doch seine Antwort kehrt die meist von Menschen an Gott gerichtete Theodizee-Frage um: Man mache es sich zu bequem, die Schuld bei höherer Macht zu suchen, wo doch Menschen selbst all jene Gräuel willfährig verübten. Statt zu fragen “warum lässt Gott Böses zu?” ist für Heschel der Mensch Ausgangspunkt einer “pathetischen Theologie”, und seiner fehlerhaften Natur wird wie Licht dem Schatten die absolute göttliche Moral gegenübergestellt.
Sollte die Menschheit etwa überrascht sein, fragt sich Heschel, dass Gott ihr den Rücken kehrte, während sie doch selbst durch ihr Versäumnis, gegen solch Unbill, solche Ungerechtigkeit und solches Böses machtvoll zu protestieren und zu kämpfen, die Shoa erst ermöglicht hatte. Gottes Gegenwart findet sich also darin, zu verstehen, dass die Shoa als verzweifelter Aufruf der Stimme Gottes an seine Schöpfung zu sehen ist, jener krass zur Schau gestellten “gewaltigen Zerstörungswut der Menschen” die spirituelle Macht eines, wie Heschel es formuliert, “prophetischen Bewusstseins” entgegenzusetzen, das sich dieser Stimme öffnet, sie in sich aufnimmt und in die Welt hinaus trägt. Nur so kann sichergestellt werden, dass die allzu menschlichen Bedingungen, die diesen Horror erlaubten, niemals wiederkehren mögen.
Isabelle Heinemann
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