Schabbat Shalom - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Schabbat Shalom - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

JLID - Die Seele braucht Erneuerung

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Die Seele braucht Erneuerung

Wie der Körper erschlafft, wenn er immer nur mühsame Arbeiten verrichtet und erst durch Ruhe und Erholung wieder in die behagliche Stimmung zurückkehrt, ebenso bedarf die Seele der Erholung, indem sich die Sinne mit Betrachtung der Kunstgebilde und zierlicher Gegenstände unterhalten, bis sie sich von ihrer Anspannung erholt hat.

Moses Maimonides

„Mein Freund Serge hat sich ein Bild gekauft. Ein Ölgemälde von etwa ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig, ganz in Weiß. Der Untergrund ist weiß, und wenn man die Augen zusammenkneift, kann man feine weiße Querstreifen erkennen. Mein Freund Serge ist ein langjähriger Freund. Er ist jemand, der Erfolg gehabt hat, er ist Dermatologe, und er liebt die Kunst. Am Montag bin ich bei ihm gewesen, um mir das Bild anzuschauen, das Serge am Samstag gekauft hat, mit dem er aber schon seit Monaten liebäugelte. Ein weißes Bild, mit weißen Streifen.“ Mit diesen Worten eröffnet die französische Autorin Yasmina Reza die Handlung ihres Schauspiels unter dem Titel „Kunst“. Es wird in diesem Stück allerdings nicht um Kunst im wissenschaftlich-ästhetischen Verständnis, sondern um die Kunst des Lebens gehen. Die weiße Fläche von 1,20 x 1,60 Meter, die Serge für 200000 Francs mit Stolz erworben hat, wird zur einer Projektionswand und einer Aushandlungsarena für Freundschaft, Liebe, Vertrauen, für den Schein und das Nicht-Sein. Das monochrome Weißbild gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar, sodass am Ende des Werkes auf dem weißen Gemälde das Portrait eines Skifahrers zu erkennen wird, der im Schnee seiner Umgebung verschwindet. Nach einer hartnäckigen und inzwischen überholten Tradition wird die Kunstrezeption als passive Kontemplation des unmittelbar Gegebenen vorgestellt, als direkte Aufnahme des Dargebotenen, die sich von jeglicher Konzeptualisierung freihält, die von allen Echos der Vergangenheit und allen Bedrohungen der Zukunft isoliert, aller Geschäftigkeit enthoben ist. Nach dieser Einstellung bedeutet das Lesen eines Gedichtes die bloße Betrachtung einer bedruckten Seite oder das Anschauen einer weißen Leinwand, obgleich es sich um das herausragendste, monochrome Malmachwerk der Theatergeschichte handeln könnte. Kunstgegenstände, wie Gemälde und Gedichte müssen nach meinem Verständnis wahrhaftig gelesen werden, die Erfahrung der ihr innewohnenden Kunst ist daher ein sehr dynamischer und nicht statischer Prozess und bedarf einer Selbstinvestition in den Kunstgegenstand. Die Kunsterfahrung fordert eine feine Unterscheidung und ein Erkennen subtiler Beziehungen, eine Identifizierung von Symbolsystemen sowie eine Interpretation von Werken und eine Rekonstruktion der Welt von den Werken her und der Werke von der Welt her. Worin liegt daher die von Maimonides beschriebene Erholung unserer Seele durch das Betrachten von Kunstgegenständen, wenn der Seele dabei besondere Arbeit auferlegt wird? Möglicherweise liegt die Antwort darin, dass die Kunst zwar schöpferisch ist, aber dabei vordergründig keine praktischen Zwecke verfolgt, denn sie strebt weder Verteidigung, noch Eroberung, weder den Erwerb von Lebensnotwendigem noch von Luxusgütern, weder eine Vorhersage noch Kontrolle der Natur an. Ihr Ziel ist es die Sinne und die Gefühlswelt des Schauenden zu stärken, die es uns erleichtern sollen die Welt von den Werken her und die Werke von der Welt her zu rekonstruieren und sie besser zu begreifen. Denn nur durch diese intellektuelle und emotionale Selbsterziehung kann aus einer weißen Leinwand mit weißen Streifen das Portrait eines im Raum schwindenden Menschen erschaffen werden. Ich wünsche Ihnen viele Kunsterfahrungen, die Ihre Sinne und Gefühle erschüttern und dadurch Ihre Weltwahrnehmung stabilisieren werden.

Shabbat Shalom, Anna Basina

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Über diesen Podcast

Die erste urkundliche Erwähnung jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands stammt aus dem Jahr 321 n.Chr. – deswegen wird in diesem Jahr das Jubiläum begangen.

Jeden Freitag nehmen uns junge Jüdinnen und Juden dazu in diesem Podcast mit in die Welt des Judentums. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, dem Begabtenförderungswerk der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, teilen mit uns ihre Gedanken zum Schabbat und zum jüdischen Leben in Deutschland.

Auf der ganzen Welt ist für Jüdinnen und Juden der Schabbat der Ruhetag. Er beginnt am Freitag mit Sonnenuntergang und endet am Samstagabend. An diesem Tag kommen Familie und Freundinnen und Freunde zusammen, der Tag ist ganz der Ruhe gewidmet.

„Schabbat Shalom“ – „Einen friedlichen Schabbat“ – ist der traditionelle Gruß für Jüdinnen und Juden.

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